Entscheidungen fällen oder Gedanken-Ping-Pong
Ich kann mich noch gut an eine Situation vor vielen Jahren erinnern, als ich mit einer Freundin in einem Schuhgeschäft war und mich ungefähr eine geschlagene Stunde lang nicht entscheiden konnte, ob ich die Sandalen in dunkelblau oder in mittelbraun-natur nehmen sollte (die Freundin kann sich daran übrigens auch noch SEHR gut erinnern…). Beide gefielen mir ausgezeichnet, ich konnte nur für keinen der beiden eindeutig mehr positive Aspekte finden als für den anderen – sie waren also beide gewissermaßen „Topp-Favoriten“ für mich.
Am Ende habe ich die dunkelblauen genommen – warum es letztlich so ausging, kann ich bis heute nicht sagen. Ich habe die Schuhe jedenfalls in bester Erinnerung, denn sie sind mir – nach dem holprigen Start – sehr ans Herz gewachsen, sofern sich das über Schuhe überhaupt sagen lässt.
Auch im Karrierecoaching erlebe ich häufig Klienten, die vor einer Entscheidung stehen und ebenfalls keine klare Tendenz ausmachen können: „Ich habe so viel gemacht in meinem Leben, ich kann selber einfach keinen roten Faden mehr erkennen und weiß gar nicht, in welche Richtung ich jetzt gehen soll.“, „Ich weiß nicht, ob ich dieses Jobangebot wirklich annehmen soll, ich habe ja noch diese andere Bewerbung in der Pipeline, wo ich auch sehr gerne arbeiten würde.“
Oft sind unsere Entscheidungsschwierigkeiten von sehr vielen Gedanken begleitet, einem Hin und Her an Abwägen, einem pro und contra, einem mentalen Ping-Pong. Leider ist es meist so, dass daraus wenig Klarheit entsteht. Daher versuchen wir oft, noch mehr darüber nachzudenken, in der Annahme, dass wir irgendwann schon auf die richtige Lösung kommen werden – wenn wir uns nur genug anstrengen und besonders gut nachdenken.
Meine Erfahrung ist allerdings, dass wir uns dabei im Kreis drehen. Denn oft kommt die zündende Idee nicht durch mehr Denken, anderes Denken oder besseres zustande, sondern indem wir die Perspektive wechseln, uns anderweitige Inspiration suchen, ganz anderen Dingen sowie unserer Intuition Raum geben. Zur Lösung verhilft also nicht mehr Anstrengung, sondern eher weniger – nämlich die Bewegung in eine andere Richtung.
In Studien über Entscheidungsfindung zeigt sich, dass gute Entscheidungen zustande kommen durch eine Mischung von rationalen und emotionalen Kräften in uns. Das Fazit zu den Kriterien der guten Entscheidungsfindung lautet: Wer ausschließlich rational handelt oder wer sich nur auf sein Gefühl verlässt, der trifft in der Regel eine weniger gute Entscheidung als bei Berücksichtigung beider Ebenen. Allerdings gibt es auch auch sehr gute Bauchentscheidungen, die nicht nur ebensogut sind wie die mit dem Verstand getroffenen, sondern auch erheblich schneller – also auch effektiver.
Prof. Dr. Ernst Pöppel, einer der führenden Hirnforscher Deutschlands, vertritt die Ansicht, dass intuitives Wissen einen größeren Einfluss auf unser Handeln hat als unser rationales Denken. Auch Malcolm Gladwell beschäftigt sich in seinem Bestseller „Blink – The Power Of Thinking Without Thinking“ mit der Rolle und Macht der Intuition. Da wir jeden Tag ca. 20.000 Entscheidungen treffen (!), liegt es auf der Hand, dass diese nicht alle durch unser bewusstes Denken gesteuert werden können – denn dann würden uns 24 Stunden nicht ausreichen. Vielmehr fällen wir die meisten Entscheidungen im Alltag blitzschnell.
Aus meiner Sicht ist es daher ein guter Ansatz, wenn wir uns in einem Dilemma befinden – denn das ist eine klassische Entscheidungssituation, in welcher wir zwischen zwei Polen pendeln -, die Lösung nicht ausschließlich im Denkprozess zu suchen. Vielmehr kann es sein, dass stattdessen ein Museumsbesuch, ein Ausflug in die Natur, ein entspannter Wochenendtripp, etwas Kreatives zu machen, eine intensive Sporteinheit oder ein ausgelassener Abend mit guten Freunden uns auf ganz andere Gedanken und Ideen bringen, weil wir Abstand gewinnen können. So schimmert nach und nach oder aber auch ganz plötzlich die Klarheit für unsere Frage durch: Wir haben die Perspektive gewechselt, sind vom Problem weggeschwenkt hin zu einem ganz anderen Kontext. Dies kann uns inspirieren und, manchmal zu unserer eigenen Überraschung, zur Lösung führen.
Den gewohnten Rahmen zu verändern, ist ein fruchtbarer Boden. In einer Coachingsitzung können außerdem bspw. Methoden wie Aufstellungen, Arbeit mit dem Inneren Team nach Schulz von Thun, die eigene Wertematrix oder das Tetralemma hilfreich sein. Gerne möchte ich Ihnen darüber hinaus noch einige Fragen vorstellen, die aus meiner Erfahrung hilfreich sein können zur Reflexion bei gewichtigen Entscheidungen:
- Wie werde ich meine Entscheidung mit einem Abstand von zwei Jahren betrachten?
- Welches Gefühl löst die jeweilige Entscheidung in mir aus?
- Mit welcher verbinde ich mehr positive (z.B. Vorfreude, Zufriedenheit, Erfüllung, Tatendrang) Gefühle, mit welcher mehr negative Gefühle (z.B. Stress, Sorgen, Angst)?
- Über welche der zu treffenden Entscheidung würde ich anderen lieber erzählen?
- Wie müsste das Ergebnis meiner Entscheidung aussehen, damit ich damit gut leben kann? Welche Kriterien sollte das Ergebnis für mich erfüllen?
- Inwieweit stehen die einzelnen Optionen im Einklang mit meinen persönlichen Werten?
- Fragen Sie 3 gute Freunde und Freundinnen – welchen konkreten Rat haben diese an Sie?
- Geben Sie Ihren Entscheidungsoptionen einen Namen. Nun angenommen, Entscheidung A wäre die unterste Sprosse einer Leiter, wo würde die oberste Sprosse Sie hinführen? Spielen Sie das auch mit den anderen Möglichkeiten durch. Wohin soll die Leiter Sie führen?
Interessant finde ich auch den Gedanken, dass jede Entscheidung nur relativ betrachtet gut oder schlecht ist. Das heißt, was uns heute ungünstig oder unklug erscheint, kann sich morgen als Basis für etwas viel Besseres erweisen – welches wir ohne die scheinbar „verkehrte“ Entscheidung nie erreicht hätten. So kann es sein, dass mich bspw. viele Jobwechsel in meinem Lebenslauf irritieren, sie mir aber schließlich dazu verhelfen, eine sehr besondere Art von Tätigkeit zu finden, bei der ich meine vielfältigen Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen einbringen und mich somit voll und ganz ausleben kann.
Dass wir uns schließlich entscheiden, scheint allerdings durchaus wichtig zu sein. So fand Steven Levitt, Ökonom an der Universität Chicago, in seiner „Münzwurfstudie“, bei welcher die Teilnehmenden nach Kopf oder Zahl einer Münze zu ihrer Entscheidung kamen, heraus, dass für seine Probanden nicht bedeutsam war, wie sie entschieden, sondern dass sie eine Entscheidung fällten. Wer also viel Zeit in Gedanken an Veränderung investiert, für den kann sich die tatsächliche Umsetzung besonders lohnen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen, inspirierten und entscheidungsfrohen Okober!
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