Hilfe, ich bin nicht gut genug! – die Tyrannei der Perfektion –

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Perfektion ist Stagnation - Kreidetafel

„Das klingt … irgendwie … halbseiden!?“
Stille – der Klient war sprachlos.

Schließlich:
„Ja, so ist es, absolut! Immer habe ich Angst, die anderen könnten herausfinden, dass ich in Wirklichkeit gar keine Ahnung habe von dem, was ich da tue!“

15jährige Berufserfahrung in Marketing und Design, seit etlichen Jahren als Führungskraft, der Klient konnte auf einige große Erfolge zurückblicken. Die Annahme, er sei nicht kompetent, war für einen Außenstehenden in keinster Weise naheliegend. Doch mir begegnet sie in meinen Coachings sehr oft – so oft, dass ich heute ein paar Ideen und Anregungen dazu teilen möchte.

Die Angst, nicht gut genug zu sein

Diese Befürchtung hat viele Gesichter; sie kann sich darin äußern, dass wir sehr selbstkritisch sind und an unserem Können und Wirken kaum ein gutes Haar lassen – im Hintergrund immer die Befürchtung, die anderen könnten uns auf die Schliche kommen, dass wir in Wirklichkeit gar nicht so clever, kompetent und gut in unserm Job sind, wie es den Anschein hat.

Damit kann außerdem der Glaube einher gehen, dass wir nur durch Zufall oder Glück dort gelandet sind, wo wir heute sind. Es handelt sich also gar nicht um einen wirklichen, nicht um unseren eigenen Verdienst. So kann die Wahrnehmung unserer Leistung nicht wachsen und jeder Erfolg ist Wasser auf unsere Mühlen: Der Zufall oder das Schicksal meinte es einfach nur gut mit uns – Glück gehabt!

Insbesondere ein ausgeprägter Perfektionismus ist häufig eine Folge der Angst, nicht gut genug zu sein. Denn auf diese Weise, indem wir möglichst fehlerfrei agieren, können wir vielleicht verhindern, dass die anderen uns auf die Schliche kommen – dass sie uns entlarven, dass wir auffliegen mit all unserem Nicht-Wissen und Nicht-Können.

Furcht vor dem Fehler

Als Folge unseres Perfektionismus sind wir häufig sehr darauf aus, Fehler zu vermeiden. Was dazu führen kann, dass wir keine Entscheidungen mehr treffen, dass wir uns nur gebremst entwickeln und dadurch insgesamt unzufrieden sind mit unserem Leben.

In einigen Situationen und auch in bestimmten Berufen ist es sicherlich essenziell, genau das richtige zu tun, was in diesem Fall klar definiert ist. Zum Beispiel als Chirurg, wo sich ein Fehlgriff für den Patienten fatal auswirken kann. In vielen anderen Kontexten jedoch erlaubt das Fehler machen uns, uns zu entwickeln – indem wir daraus lernen, dies als Antrieb für neue Impulse nutzen, uns oder unser Handeln in Frage stellen und daraufhin weiterentwickeln und neu definieren.

If you´re not failing, you´re probably not really moving forward.  John C. Maxwell, Leadership Experte und Trainer

Nehmen wir das Beispiel einer Projektmanagerin für ein Großprojekt im Eventbereich: In der Endphase eines wichtigen Abschlusses steht sie stark unter Strom und, um Perfektion bemüht, beginnt sie, immer mehr Druck auf ihre Kolleginnen und Kollegen auszuüben. Dies hat jedoch nicht den gewünschten Effekt; stattdessen kommt es zu starken Widerständen bei allen Beteiligten. Am Ende arbeitet sie selber 2 Wochen lang mehr als 15 Stunden am Tag.

Aus dieser für sie unangenehmen Erfahrung lässt sich einiges lernen – wenn ich die Bereitschaft dafür aufbringe, meinen eigenen Anteil zu ergründen und zu reflektieren. Ich kann daraus ableiten, ein Seminar zur Stärkung meiner Führungskompetenzen oder zur Erweiterung meiner Projektmanagement-Skills zu besuchen, zukünftig auf eine bessere Work-Life-Balance zu achten, eine strukturelle Änderung im Unternehmen anzustoßen, interne Kommunikationsprozesse und die Kooperation zu verbessern, offener mit meinen Kollegen zu kommunizieren oder anfangen, anderen meine Grenzen aufzuzeigen.

Der Dunning-Kruger-Effekt – nicht wissen, dass ich nicht weiß

Inkompetente Menschen neigen dazu, sich selbst zu überschätzen, haben die Wissenschaftler Dunning und Kruger herausgefunden und damit den Begriff Dunning-Kruger-Effekt etabliert:

Wenn man inkompetent ist, kann man nicht wissen, dass man inkompetent ist […] Die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um eine richtige Antwort zu geben, sind genau die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist. – David Dunning –

Die Analogie könnte lauten, dass kompetente Menschen sich eher unterschätzen – im Sinne von „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Demnach wäre es also ein gutes Zeichen, meine Grenzen zu sehen und den Eindruck zu haben: Da geht noch viel mehr! Weil ich durch meine Fähigkeiten eine Ahnung von der Größe des Ganzen habe, weil mir bewusst ist, dass mein Wissen und Können immer nur einen Teil des Gesamten darstellen.

Die Tyrannei der Perfektion

Die entscheidende Frage scheint mir in diesem Zusammenhang: Wer entscheidet eigentlich, wann es endlich gut genug ist? Was ist mein Maßstab? Da es sich um einen Glaubenssatz handelt, kann ich ihn weder beweisen noch widerlegen. Ein Glaubenssatz ist ein Glaubenssatz ist ein Glaubenssatz.

Bleibe ich dabei, bin ich ihm praktisch ausgeliefert.

Wenn es ein immer höher, immer schneller, immer weiter sein soll, befinde ich mich in einem immerwährenden Komparativ, der eigentlich ein Superlativ sein will. Wir vergleichen uns mit dem immer Besseren. Dabei können wir nicht gut abschneiden. Beziehungsweise ist gut uns eben nie gut genug. Aus diesem Hamsterrad scheint es kein Entkommen zu geben – sofern wir nicht unsere Perspektive ändern.

Perspektive: vom Reaktiven zum Kreativen

Aus Angst, Fehler zu machen, kommen wir in einen Vermeidungsmodus. Wir reagieren auf die Anforderung im Außen, indem wir uns entweder der Herausforderung entziehen, oder alle unsere Kräfte mobilisieren, um es so gut wie möglich zu machen. Unsere eigenen Ideen bleiben dabei leider auf der Strecke, weil wir unseren Fokus ausschließlich auf das Ergebnis richten.

Mehr Spaß kann es hingegen machen, unsere eigene Kreativität für den Prozess unserer Arbeit und unseres Wirkens zu nutzen.

Perspektive: Perfektion ist ineffektiv

Der Anspruch, fehlerfrei zu arbeiten, wird von uns meist undifferenziert verfolgt. Will heißen: Auch wenn es gar nicht wichtig ist, verwenden wir einen großen Teil unserer Zeit auf ein super Ergebnis. Die Energie steht uns dann aber nicht mehr zu Verfügung, wenn es wirklich wichtig wird. Insofern ist Perfektion keine gute Methode, denn wir vergeuden unsere Energie.

Besser könnte sein: Ich entscheide, wann ich etwas wie gut mache – wann ist es wirklich wichtig, wann kann ich auch mal 5e grade sein lassen? Meine Perfektion so zu modulieren, kann sehr befreiend sein.

Perspektive: Perfektion ist Größenwahn

Das Herum-tüfteln daran, dass alles perfekt wird, lässt uns leicht annehmen, dass wir alleinig für das Ergebnis unserer Arbeit verantwortlich sind. Diese Annahme verstärkt gleichzeitig den Druck auf uns.

Gucken wir uns Arbeitsprozesse genauer an, so wird allerdings offensichtlich, dass die Ergebnisse unserer Arbeit von vielen Faktoren beeinflusst werden – seien es Stimmung und Motivation von Kolleginnen und Kollegen, Kooperationspartnerinnen und -partnern, saisonale Einflüsse sowie die der allgemeinen Wirtschaftslage oder auch die Möglichkeit, Zugang zu bestimmten Ressourcen wie Materialien in unterschiedlicher Qualität zu erhalten, wenn es zum Beispiel um einen Fertigungsprozess geht.

Perspektive: Erfahrung macht lebendig – finde Freude im Fehler

Ohne Fehler würden wir alles immer gleich machen. Das wäre vermutlich ganz schön langweilig, denn alles würde stagnieren.

Wenn wir Fehlern hingegen mit Offenheit begegnen, können wir sie als Anregung für etwas Neues nutzen. Nicht zuletzt auf diese Weise sind große Erfindungen entstanden: sehr oft, indem ein geplantes Experiment nicht funktionierte, sich dabei aber etwas anderes, am Ende Bahnbrechendes, zeigte.

Indem wir uns ausprobieren, ohne uns von unserer Angst leiten zu lassen, können wir gute neue Ideen entwickeln und unsere Fehler als Anregung zur Veränderung nutzen. Man könnte auch sagen: Du kannst keine Fehler machen – nur lernen.

Schließen möchte ich mit den Worten von Simon Sinek, Autor und Podcaster:

Progress is more important than perfection!

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